
Ich stehe alleine inmitten von Menschen, die in Gespräche vertieft sind. Ich verspüre ein unangenehmes Spannungsgefühl in der Brustgegend. Alles ist so neu für mich. Ich bin neu in Köln und neu im Team des Startups „The Good Food“ – dem Grund, warum ich heute Abend hier bin. Es ist der Eröffnungsabend eines ihrer Ladenlokale, in dem sie ab morgen gerettetes Gemüse gegen eine Spende „verkaufen“ werden. Ich war sofort Feuer und Flamme für die Idee, als ich davon hörte und stellte mich als ehrenamtliche Mitarbeiterin zur Verfügung. Während meines letzten Jobs in der Einzelhandelsbranche hatte ich hautnah mitbekommen, wie verschwenderisch dort mit Lebensmitteln umgegangen wird.
Mein Blick wandert durch den Raum und versucht, mit irgendwem Kontakt aufzunehmen. Mir ist ganz warm und das Stimmenwirrwarr zerrt an meinen Nerven. Plötzlich geht die Ladentür auf und eine große, blonde Frau mit einem strahlenden Gesicht betritt den Raum. Ich meine mich zu erinnern, dass ich diese Frau heute Nachmittag schon gesehen habe. Es ist die Besitzerin eines Ladens, der nur ein oder zwei Häuser entfernt von diesem Lokal liegt. Wir haben am Nachmittag ein paar Worte gewechselt, als ich mich in ihrem Shop umsah.
Ich bin erleichtert. Endlich jemand, den ich kenne. Freudig erwidere ich ihr Lächeln. Ein glatzköpfiger Mann mit auffällig großer Brille begleitet sie. Sie nehmen auf der Fensterbank im Schaufenster Platz, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Raums befindet. In dem Moment gesellt sich eine Frau zu mir, die ebenfalls im The Good Food-Team ist. Wir kommen ins Gespräch. Ich erfahre, dass sie Schauspielerin ist und tauche für eine Weile in ihr interessantes und abwechslungsreiches Leben ein. Dann steht sie plötzlich neben mir, die Frau mit dem strahlenden Lächeln.
„Hallo, ich bin Lea“, begrüßt sie uns und strahlt dabei wie ein kleines Mädchen. Ihre feinen Gesichtszüge und ihre leuchtend blauen Augen fallen mir sofort auf. „Du hast mich eben so nett angelächelt, da dachte ich, ich sage einfach mal hallo.“
In dem Moment wird mir klar, dass wir uns noch nie zuvor gesehen haben. Ich erfahre, dass auch Lea Mitglied in „unserem“ Team ist. Diese erste Begegnung ist jetzt fünf Jahre her.
Ein paar Wochen später verabredeten wir uns zu einem Spaziergang im Kölner Stadtgarten. Dann trafen wir uns im Volksgarten. Am häufigsten aber holte ich Lea nach ihrer Atemtherapie an der Haltestelle Maarweg in Braunsfeld ab. Von dort aus gingen wir zusammen in den nahegelegenen Stadtwald und drehten eine kleine Runde durch den Park. Unsere Treffen waren nie besonders lang, dazu fehlte Lea die Kraft. Besonders nach der Atemtherapie brauchte ihr Körper Ruhe. Unsere Gespräche waren dafür umso tiefer. Als ob wir uns schon ein Leben lang kennen würden.
Lea leidet an einer seltenen Krankheit, die eine einnehmende Rolle in ihrem Leben spielt. Im Jahr 2008 fingen ihre gesundheitlichen Probleme an. Bis dahin hatte Lea ihre kölsche Frohnatur und Lebendigkeit in Form von zahlreichen Reisen, Unternehmungen und Feiereien ausgiebig gelebt. Sie arbeitete als Kosmetikerin in einer renommierten Hautklinik in Köln und war mit ihrem damaligen Partner verheiratet, mit dem sie 15 Jahre ihres Lebens teilte. 2008 startete dann ein Staffellauf von Arzt zu Arzt, der durch diverse Fehldiagnosen zum Horrortrip wurde. Unter anderem wurde der Verdacht auf Krebs und Burnout ausgesprochen. Ein Jahr später stellte ein Arzt endlich die richtige und entscheidende Diagnose: Lea hat Sarkoidose.
Die Sarkoidose ist eine entzündliche Erkrankung, die den ganzen Körper betrifft. Es bilden sich mikroskopisch kleine Gewebeknötchen, Granulome genannt. Sie können so gut wie überall im Körper entstehen. Besonders häufig, und so ist es auch bei Lea, ist die Lunge betroffen. Aber auch Augen, Leber, Milz und Haut sind oft befallen. Die ständige Atemnot ist eines der stärksten Symptome, die Lea zu schaffen machen. Außerdem bildet sich permanent Schleim in ihrer Lunge.
Oft sitzt der Schleim so fest, dass ich das Gefühl habe, daran zu ersticken.
Begleitet wird das Ganze von starken Erkältungssymptomen wie Husten, Schnupfen, Halsweh und Fieber, die bei Lea ein Dauerzustand sind. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie schnell aus der Puste gerät und dementsprechend wenig belastbar ist.
Um ihren Zustand erträglicher zu machen, ist für sie ein tägliches, umfangreiches Pflegeprogramm Pflicht. Die Einnahme von erkältungslindernden Medikamenten und das regelmäßige Tropfen ihrer trockenen Augen sind nur ein kleiner Teil. Weiterhin muss sie täglich diverse Tabletten zur Entgiftung ihres Körpers nehmen. Das Inhalieren von Sole und ein Ganzkörperbad in mit Meersalz angereichertem Wasser sind ebenfalls täglich notwendig. Nach jedem Meersalzbad reibt sich Lea mit einer speziellen Lösung ein, darauf folgt ein Magnesiumöl und danach noch eine heilende Aloe Vera Creme. Die Massage ihrer Rippen mit einer heißen Rolle, um dortige Verklebungen zu lösen, ist sogar zweimal täglich erforderlich.
„Meine Schleimhäute sind extrem empfindlich und mein Körper trocknet schnell aus“, erklärt mir Lea darüber hinaus. Wenn Lea das Haus verlassen will, ist es deshalb extrem wichtig, sich gegen alle äußeren Einflüsse zu schützen, die ihren Körper weiter austrocknen würden. Eine Schutzbrille, eine Mütze und ein Schal gegen die Sonneneinstrahlung und den Wind gehören zu ihrer normalen Ausrüstung für draußen.
Die Kölner Stadtluft machte Lea immer mehr zu schaffen. Meistens war sie bereits nachmittags so erledigt, dass ihr nichts Anderes übrigblieb, als sich in ihrer Wohnung zu verschanzen. Die konstante Beatmung durch ein Sauerstoffgerät wäre der nächste, unumgängliche Schritt gewesen. Die gebürtige Ehrenfelderin war zu dem Zeitpunkt, als wir uns kennenlernten, schon nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Kosmetikerin auszuüben. Sie lebte damals im Haus ihrer Eltern, die pflegebedürftig sind. Den Pflegejob übernahm Lea so gut und so lange es ihre Gesundheit zuließ.
Ihr gesundheitlicher Zustand spitzte sich immer weiter zu, bis sie eines Tages eine weitreichende Entscheidung traf. Ich erinnere mich noch genau, wie mein Herz klopfte, als sie mir eröffnete, dass sie Köln verlassen werde. Sie wolle aufbrechen, um einen Ort zu finden, an dem sie heilen kann. Irgendwo ans Meer sollte es gehen.
Ein großer Teil von mir war sehr erleichtert über diese Entscheidung. Ich hatte ihren Zustand nun schon eine ganze Weile mitbekommen und wusste, dass ihre Entscheidung richtig und unumgänglich war. Ein anderer Teil war sehr traurig, dass unsere gemeinsamen Spaziergänge von bald an der Vergangenheit angehören würden. Tief in mir drin wusste ich aber, dass unsere Verbindung nicht abbrechen würde. Das tat sie auch nicht. Sie wurde stärker.
Nach einigen Zwischenstationen landete Lea in Jübek, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Flensburg. Sie fand dort schnell einen Job in einem Bioladen, den sie in Teilzeit ausübte. Ihr Partner Ralf, der kurz vor Leas Aufbruch als Pfleger in das Haus ihrer Eltern eingezogen war und den sie dort kennen und lieben lernte, folgte ihr nach ein paar Monaten. Ralf nahm einen Job auf einem Biobauernhof an.
Ein Jahr verbrachten Lea und Ralf an diesem Ort. Doch Lea wurde irgendwann klar, dass Jübek nicht die Endstation ihrer Reise sein würde:
Meine Seele hat weiter nach dem Ort gesucht, wo ich mehr Luft bekomme, das Meer noch näher ist und ich noch weniger Menschen treffe. Ein Ort, an dem ich Frieden finde.
Ralf und Lea teilten eine tiefe Sehnsucht nach Irland. Nach zwei kürzeren Besuchen dort, entschieden die beiden, ihren Traum zu verwirklichen und endgültig nach Irland auszuwandern. Am Anfang dieses Jahrs siedelten sie über und landeten schließlich in Malin Head, der nördlichsten Spitze der Insel.
Jetzt sollte ihr gemeinsamer Traum Realität werden. Doch dann kam alles anders.
An einem gewöhnlichen Montagmorgen Ende Juni dieses Jahres fand Lea Ralf leblos in seinem Bett. Ralf hatte sich abends mit einer Magenverstimmung hingelegt und wachte nicht wieder auf. Sein Herz hatte versagt. Ich werde nie ihren Anruf an diesem Morgen vergessen und die Erschütterung, die durch jede Faser meines Körpers ging, als sie mir diese unfassbare Nachricht überbrachte. Ralf wurde inzwischen in seiner Heimatstadt Köln beigesetzt.
Lea lebt seitdem alleine in ihrem Haus in Malin Head.
Das Leben hier ist rau, es geht tatsächlich ums „Über-leben”.
„Starke Stürme sind in dieser Gegend nicht selten, erst vergangenes Wochenende hatten wir wieder mit einem Orkan zu kämpfen. Dann fällt auch mal für mehrere Stunden der Strom aus.“, berichtet sie und wirkt dabei zufrieden.
Leas Tag ist damit gefüllt, ihr Pflegeprogramm zu erledigen, das Haus mit dem Kamin zu beheizen und in Schuss zu halten und sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Es gibt einige, wenige Nachbarn in der Umgebung, die sich ab und zu nach ihr erkundigen und auch die Vermieterinnen des Hauses stehen ihr helfend zur Seite, wenn es z.B. um Formalitäten geht. Aber sonst ist sie völlig auf sich alleine gestellt.
„Immer wieder packt mich das Heimweh, oder die Trauer um Ralf überwältigt mich“, sagt sie.
„Dann frage ich mich schon, was ich hier tue und warum Ralf genau in dem Moment von mir gegangen ist, in dem eigentlich alles anfangen sollte. Doch tief in mir drin weiß ich, dass ich hier am richtigen Ort bin. Schon allein aufgrund meiner Gesundheit gibt es kein Zurück mehr. Seitdem ich hier bin, hat sich gesundheitlich viel getan.“
Im letzten halben Jahr, das Lea in Deutschland verbrachte, hatte sie ständig Infekte, die sie dazu zwangen, regelmäßig Antibiotika einzunehmen. Mit dem Umzug nach Irland im Januar, gehört das der Vergangenheit an. Auch die Zeiträume zwischen den Krankheitsschüben werden immer länger.
„Je häufiger ich ins Meer gehe und die salzige Meeresluft atme, desto besser wird es. Und auch die Bewegung in den nahe gelegenen Bergen tut meiner Lunge unheimlich gut. Durch das Bergaufgehen weiten sich meine Bronchien. Die Gegend ist perfekt, weil ich hier beides habe: das Meer und die Berge.“
Außerdem gäbe es nur wenig Verkehr und Industrie und deshalb auch wenig Umweltgifte, die die Luft verschmutzen. Deshalb müsse sie auch immer weniger Entgiftungs-Medikamente einnehmen, lässt Lea mich wissen.
„Der Tod von Ralf war natürlich ein herber Rückschlag, der sich auch auf meine Gesundheit ausgewirkt hat. Die Seele spielt ja auch eine große Rolle. Aber der letzte Monat war gesundheitlich richtig gut. Ich kann es noch gar nicht glauben.“
Neben der Trauer um Ralf beschäftigt Lea momentan noch etwas Anderes: In naher Zukunft wird ihr Erspartes aufgebraucht sein. Um einen Job anzunehmen, dazu fehlt ihr die Zeit und auch die Energie. Im Schnitt braucht sie für ihren Lebensunterhalt ca. 1300 € im Monat. 400 € davon gibt sie allein für Medikamente aus – Tendenz momentan sinkend.
Auf meine Frage, was ihr in dieser Situation Halt und die enorme Kraft und Zuversicht gibt, die sie auf mich ausstrahlt, antwortet Lea: „Es ist mein starker Glaube, dass es einen Sinn hat, warum ich zu dieser Zeit auf dieser Erde inkarniert bin und mir das Leben immer die richtigen Menschen zur Seite stellen wird. Ich glaube fest daran, dass es immer weitergeht.“
„Was wünschst du dir am Allermeisten?“, ist meine letzte Frage, die ich ihr im Rahmen dieses Portraits stelle.
Ihre Antwort ist so schlicht wie klar: „Ich möchte gesund werden.“
Leas Geschichte, ihre nicht enden wollende Zuversicht und meine tiefe Verbindung zu ihr, haben mich dazu veranlasst, eine Crowdfunding-Aktion ins Leben zu rufen. Lea ist eine so starke, tapfere Persönlichkeit. Ich habe in den fünf Jahren, in denen ich sie kenne, nicht ein Wort des Grolls oder des Selbstmitleids von ihr gehört. Lea ist voller Liebe und Dankbarkeit und eine sehr besondere Frau. Sie verdient ein gutes, erfülltes Leben. Ich will meinen bescheidenen Teil dazu beitragen.
Deshalb rufe ich alle Menschen, die diese Zeilen lesen auf, Lea mit einer Spende dabei zu unterstützen, an ihrem Seelenort bleiben und weiter heilen zu können. Jeder Beitrag zählt und wird von Lea mit großer Dankbarkeit angenommen!
Hier geht es zur Spendenaktion:
https://www.betterplace.me/lea-in-not
Ich danke euch von Herzen!